Publikation des Bandes "Don Juan (Originalfassung) / Les Amours d'Alexandre et de Roxane" (II/2)

Don Juan (Originalfassung) / Les Amours d'Alexandre et de Roxane (II/2), herausgegeben von Sibylle Dahms und Irene Brandenburg, beide Salzburg, Bärenreiter-Verlag, Kassel, 2010.

Mit den beiden zu Beginn der 1760er-Jahre entstandenen Tanzdramen Don Juan und Les Amours d'Alexandre et de Roxane verhalf Gluck in Zusammenarbeit mit dem Choreographen Gasparo Angiolini der Gattung zu neuer Gestalt: Das 1761 im Wiener Burgtheater uraufgeführte Ballet Pantomime Don Juan, ou Le Festin de pierre hatte nichts mehr mit der schematisierten Form der höfisch-barocken Tanzeinlage gemein, sondern vermittelte als eigenständiges, dramatisches Handlungsballett (Ballet en action) durch Bewegung, Gestik und semantisch aufgeladene Musik sowohl Aktion als auch Emotion.

Mit der von Sibylle Dahms besorgten Edition liegt nun erstmals die Originalfassung des Don Juan vor, die mit einem Umfang von nur 15 Nummern und einleitender Sinfonia im Rahmen einer etwa zwanzigminütigen Aufführung die zentralen Handlungsaspekte des wohl bekanntesten Stoffes der Weltliteratur transportiert. Das Experimentieren mit dem neuartigen pantomimischen Stil sollte seinerzeit möglichst kurz gehalten werden; hiermit jedoch war das Premierenpublikum überfordert, sodass spätere Choreographen in Anpassung an den geltenden Geschmack gefällige Tanzsätze einfügten. Auf diese Weise entstand die bislang vorherrschende 31-sätzige Langfassung des Don Juan, die 1966 von Richard Engländer im Rahmen der Gluck-Gesamtausgabe (Band II/1) herausgegeben wurde, nach neuesten Forschungserkenntnissen jedoch einem eigenständigen Rezeptionsstrang zuzuordnen und nicht als von Gluck autorisierte Version anzusehen ist. Die Authentizität der kürzeren Fassung hingegen belegen zum einen 13 erhaltene Notenquellen, von denen zwei vollständige Stimmensätze Wiener Provenienz die Hauptquellen der Edition bilden, und zum anderen szenarische Eintragungen in einer Partitur (aufbewahrt in der Staatlichen Bibliothek Regensburg) und in einem Stimmensatz (Teil der Nordkirchener Sammlung der Universitäts- und Landesbibliothek Münster) sowie ein handschriftlich überliefertes choreographisches "Programme du Ballet" (das in Abschriften erhaltene Pariser Szenar). Der Wortlaut dieser szenarischen Angaben wird in der vorgelegten Ausgabe in originaler Schreibweise mitgeteilt; bei konzertanten Aufführungen können die Texte somit als Mitteilung an das Publikum handlungserläuternd eingesetzt werden, gleichzeitig bieten die detaillierten Beschreibungen der Tänzeraktionen eine ideale Grundlage für die choreographische Umsetzung. Das Ensemble umfasst hierbei mindestens zwei Solisten (Don Juan und der Commandeur) sowie Corps de ballet für Don Juans Fest und die Furienszene. Die Instrumentation sieht neben Streichern Oboen, Fagott, Hörner und Kastagnetten vor.

Glucks Ballett Les Amours d'Alexandre et de Roxane, das 1764 ebenfalls im Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde, erscheint mit der von Irene Brandenburg vorgelegten Edition erstmalig im Druck. Inhaltlich behandelt es das aus der Stoffgeschichte Alexander des Großen gewählte Sujet von dessen Liebe zur baktrischen Fürstentochter Roxane, formal präsentiert sich das aus neun Nummern und einleitender Sinfonia bestehende Tanzdrama als eine Mischform zwischen pantomimischem Handlungsballett und Divertissement. Diese offene, vermutlich aus unterschiedlichen Aufführungsbedingungen resultierende Struktur zeigt sich auch in der Überlieferung: So übermitteln die im Prager Nationalmuseum und in der Universitäts- und Landesbibliothek Münster aufbewahrten Stimmensätze das Werk in voller instrumentaler Besetzung, d. h. zusätzlich mit Trompeten und Pauken, während ein dritter, in Český Krumlov aufbewahrter Stimmensatz nur Streicher, Oboen, Fagott und Hörner vorsieht und durch den Verzicht auf Satzwiederholungen die musikalische Kernsubstanz des Balletts abbildet. Da alle drei Stimmensätze in zeitlicher und räumlicher Nähe zur Wiener Uraufführung entstanden sind, bilden sie trotz kleiner Abweichungen nahezu gleichberechtigt die Grundlage der Edition, während weitere Quellen separate und vermutlich spätere Überlieferungszweige dokumentieren und somit unberücksichtigt bleiben. Ein Szenar zur Uraufführung von Les Amours d'Alexandre et de Roxane und damit ein eindeutiger Beleg für die choreographische Autorschaft Angiolinis hat sich nicht erhalten; auch annotierte Musikquellen, die Hinweise auf choreographische oder szenische Aktion geben könnten, sind nicht nachweisbar. Erst aus dem Jahr 1780 ist ein Szenar Angiolinis zu einem Alexander-Ballett überliefert, das in Verona als Einlage zu Antonio Salieris Dramma giocoso La scuola de' gelosi aufgeführt wurde. Wenngleich Gluck in dem Szenar nicht namentlich als Ballettkomponist aufgeführt ist, lässt sich die skizzierte Handlung doch gut mit seiner Musik in Verbindung bringen. Als Anregung für die moderne Bühnenpraxis wird diese Zuordnung des Szenariums zum musikalischen Ablauf in der Neuausgabe ebenso gegeben wie der Originalwortlaut und eine deutsche Übersetzung des Szenars. Zudem werden sowohl das Veroneser Szenar von 1780 als auch Angiolinis Originalszenar des Don Juan von 1761 vollständig faksimiliert. Der üblichen Band-Gestaltung entsprechend, finden sich in der Ausgabe neben dem Notentext ein umfangreiches Vorwort, Bildbeigaben und ein Kritischer Bericht.

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