Publikation des Bandes "Ballettmusiken" (II/5)
- 11.01.2017
Ballettmusiken: Les Aventures champêtres (Wien 1760), Les Blanchisseuses (Wien 1760), Les Matelots (Wien 1760 oder 1761), La Halte des Calmouckes (Wien 1761), Le Tuteur dupé ou L'Amant statue (Laxenburg bei Wien 1761), Achille in Sciro (geplant für Innsbruck 1765) (II/5), herausgegeben von Irene Brandenburg, Salzburg, Bärenreiter-Verlag, Kassel, 2016.
Bei der nun vorliegenden kritischen Edition handelt es sich um den ersten erschienenen von drei geplanten Bänden (II/3, 4, 5) mit Ballettmusiken, die zwischen 1759 und 1765 in Wien entstanden. Abgesehen von dem Ballett Achille in Sciro, das für die Feierlichkeiten zur Hochzeit Erzherzog Leopolds mit der spanischen Infantin Maria Luisa in Innsbruck vorgesehen war, wurden sie alle unter der Leitung Glucks – in seiner Funktion als "Compositore von der Music zu den Balletten" – an den Hoftheatern, d. h. dem Burgtheater und dem Kärntnertortheater sowie den Schlosstheatern von Laxenburg und Schönbrunn aufgeführt. Der vorliegende Band umfasst die spätesten Werke dieser Phase: Von nachweislich ehemals 24 Stücken aus dem Zeitraum 1760–1765, für deren Komposition Gluck verantwortlich zeichnete, haben sich musikalische Quellen nur zu sechs Balletten erhalten. Außer dem erwähnten Achille-Ballett, das erst 1765 entstand, stammen die in diesem Band herausgegebenen Ballette aus dem Zeitraum zwischen November 1760 und Juni 1761 (Spielzeit 1760/61 sowie 1761/62).
Im Spielplan der vom Hof getragenen, aber öffentlich zugänglichen Theater Wiens, dem Burg- und dem Kärntnertortheater, nahm das Ballett in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (qualitativ wie quantitativ) einen wichtigen Platz ein. Es wurde flexibel mit italienischer und französischer Oper sowie Sprechtheater verbunden – so ergaben sich Kombinationen mit wechselnden Balletten, die überwiegend unterhaltsam in lockerer Szenenfolge die Aufführungen ergänzten und durchaus mehrere Monate im Repertoire der Theater blieben. Eine zentrale Rolle für das blühende Theaterleben dieser Zeit spielte der damalige Generalintendant der Wiener Theater, Giacomo Conte Durazzo: Er stand dem neuen aufklärerischen Ideengut sehr aufgeschlossen gegenüber, wurde durchaus auch schon von Zeitgenossen als spiritus rector der Theaterszene empfunden und war bestrebt, französisches Kulturgut in Wien zu verbreiten. Letzteres nahm wiederum großen Einfluss auf die Darbietung der Ballette, die als unverzichtbarer Bestandteil theatraler Aufführungen oftmals deren konkreten Erfolg ausmachten. So war das Ballett um 1760 durchaus ein zentrales Betätigungsfeld auch für Gluck, wobei die Musik nicht zwangsläufig von ihm selbst stammen musste – vielmehr entstanden die Ballettmusiken gemeinsam mit dem Choreographen in einem kreativen Prozess (oft unter Verwendung präexistenter Musiken), der Wünsche der Auftraggeber und des Publikums berücksichtigte.
Les Aventures champêtres und La Halte des Calmouckes kamen erstmals am Burgtheater zur Aufführung, Le Tuteur dupé ou L'Amant statue im Schlosstheater zu Laxenburg. Die Uraufführung von Les Blanchisseuses sowie Les Matelots fand im Kärntnertortheater statt – innerhalb kurzer Zeit lassen sich jedoch schon Vorstellungen an den jeweils anderen Häusern nachweisen. Die Theater beschäftigten eigene Ballettensembles, mit Solotänzern von teils internationalem Rang, unter der Leitung eines Choreographen (Gasparo Angiolini für das Burgtheater und Charles Bernardi für das Kärntnertortheater). Ihre Probenarbeit und Aufführungen dokumentiert, wenn auch nicht vollständig erhalten, die Theaterchronik des Wiener Hoftänzers und Ballettmeisters Philipp Gumpenhuber – entsprechende Ausschnitte, zudem verschriftlichte Choreographien und Darstellungen einzelner Tänzer und Szenen finden sich in der Bildbeigabe der Edition.
Die Balletts bestehen aus einer Reihe zahlreicher eher kurzer Sätze, die aber wiederholt oder auch zu größeren Einheiten zusammengefügt werden konnten. Bei teils wechselnder Besetzung sind neben Streichern und Cembalo Flöten, Oboen, Fagott und Hörner beteiligt. Weiterführende Quellen lassen zudem auf die Verwendung zusätzlicher (Schlag-)Instrumente schließen. Formal bildet Les Aventures champêtres den Sonderfall eines Pasticcio-Balletts: Es beruht auf Gesangsnummern in Wien populärer Opéras-comiques (z. B. Les Amours de Bastien et Bastienne, La Fausse Esclave oder L’Arbre enchanté), von denen mehr als ein Drittel ursprünglich von Gluck stammen. So erschien (ähnlich einem Libretto) ein Szenarium, das die Gesangstexte der Airs sowie Informationen zu Handlung und Ausführenden bot; es wurde vollständig faksimiliert der Neuausgabe hinzugefügt. Ist dieses Ballett pastoralen Inhalts, so handelt es sich bei Les Blanchisseuses und Les Matelots um sogenannte "Ballets de Metier", die Alltagsszenen verschiedener Berufsgruppen zeigen, hier eben der Wäscherinnen bzw. der Matrosen. Le Tuteur dupé ou L'Amant statue wiederum ist ein komisches Ballett mit Figuren und Inhalten der Commedia dell'arte. Wie bereits der Titel verspricht, steht bei La Halte des Calmouckes die Faszination des Fremden im Mittelpunkt: Präsentiert wurde ein Zeltlager der Kalmücken, einer aus der Mongolei stammenden und nomadisch lebenden Volksgruppe. Anders als bei den anderen Balletts sind die Einzelsätze hier länger und komplexer; den zentralen Satz übernahm Gluck später als "Air pour les esclaves" in Iphigénie en Aulide. Achille in Sciro stellt auch in weiterer Hinsicht einen Sonderfall dar: Als groß dimensioniertes, heroisch-pantomimisches Handlungsballett auf der Basis des antiken Stoffes war es Teil umfangreicher höfischer Festivitäten, die sowohl Opernaufführungen als auch Bälle, Feuerwerk und Illuminationen miteinschlossen.
Die Ballettmusiken sind singulär als Stimmensätze überliefert, die in zeitlicher Nähe zu den Uraufführungen im Auftrag des Fürsten Joseph Adam von Schwarzenberg (1722–1782) in Wiener Kopistenwerkstätten (von Carl Bonifacius Champée und Theresia Ziss) angefertigt wurden und heute im Staatlichen Regionalarchiv, Český Krumlov aufbewahrt werden. Die Edition umfasst neben einem detaillierten Vorwort zu den einzelnen Balletten, beispielhafte Auszüge aus den Quellen. Im Kritischen Bericht werden die Quellenlage, Bemerkungen zur Editionstechnik und zur Aufführungspraxis eingehend kommentiert. In der jetzt erschienenen Neuausgabe liegen Glucks Ballettmusiken erstmals im Druck vor.